Die folgende Erzählung wurde aufgeschrieben im Jahre 2020 von Johann Kobler, damals Betriebskontrollor in Wörgl.
Johann Kobler Betriebskontroller Wörgl Bahnhof Wörgl Leitung
Bahnknoten Wörgl
Eine Drehscheibe im Sonderzugverkehr
Ein Samstag im Februar 1989
Es war die Zeit, in der Winter-Feriengäste noch größtenteils mit dem Zug anreisten. Vornehmlich Gäste aus dem Norden Deutschlands, hier insbesondere aus dem Raum Hamburg, Berlin und Dortmund, und aus Belgien, Holland und Dänemark kamen nach Tirol mit eigens dafür eingesetzten Reisebürosonderzügen. Verschiedene Reisebüros in diesen Ländern organisierten die Hin- und auch die Rückfahrten; mehrheitlich an einem Samstag wurden diese Fahrten durchgeführt. Es waren dies die Reisebüros TUI, Alpensee, Bergland, Skileoberen, Alpenexpress und noch einige.
Das für diese Fahrten zur Verfügung gestellte Wagenmaterial waren größtenteils Liegewagen der DB (Deutsche Bahn), der NS (Nederlandse –holländische- Spoorwegen), der SNCB (Belgische Staatsbahn) und der DSB (Danske –dänische- Staatsbahn). Österreichisches Wagenmaterial war ganz selten im Einsatz. Neben den Liegewagen wurden auch Sitzwagen und auch Schlafwagen bei diesen Zügen eingesetzt. Da mit diesen Zügen ausschließlich Reisende befördert werden durften, die mit dem jeweiligen Reisebüro einen Reisevertrag abgeschlossen hatten, waren andere Reisende mit normalen Fahrkarten in diesen Zügen nicht vorgesehen.
Jedoch in der österreichischen Strecke ab Kufstein mussten sowohl ein österreichischer Zugführer und zumindest ein Schaffner eingesetzt werden. Das heißt, in Kufstein fand ein Personalwechsel zwischen deutschen und österreichischen Eisenbahnern statt. Die für jeden Wagen vorgesehenen Liegewagen- (Schlafwagen-) -schaffner (Betreuer) wurden ausschließlich vom Reisebüro gestellt.
Die Zugbegleiterheimatbahnhöfe Innsbruck und Wörgl mussten an jedem Samstag dieses zusätzliche Personal stellen. Urlaub oder Zeitausgleich waren in dieser Zeit sowieso nicht möglich, und nur durch Erbringung von erheblicher Mehrleistung konnte der Verkehr abgewickelt werden. Die Stellung dieses zusätzlichen Zugbegleit-Personales war schon schwierig genug, die Stellung der österreichischen Lokomotive und des österreichischen Lokführers ab Kufstein war ein ebenso großes Problem. Ohne Zuführung von zusätzlichen Lokomotiven (Triebfahrzeug/Lokomotive ist im Prinzip das gleiche) aus anderen Bereichen der Österreichischen Bundesbahnen an diesen Tagen wäre eine Zugabwicklung gescheitert.
Die Bundesbahndirektion Innsbruck (Betriebsabteilung) war jene Zentralstelle, bei welcher alle ausländischen Reisebüros allwöchentlich die Fahrten für den Samstag anzumelden hatten. Die Fahrsaison dauerte allgemein von den Weihnachtstagen bis Mitte/Ende April. An jedem Samstag in dieser Zeit war ein anderes Fahrprogramm abzuarbeiten. Bis Mittwoch mussten die Reisebüros mittels Telex die Züge anmelden (Nachmeldungen gab es jedoch immer, auch nur telefonisch), am Mittwoch wurden alle Daten in einer „Fahrplananordnung“ (kurz: Faplo) von der Bundesbahndirektion ausgearbeitet und abends an die Bahnhöfe verschickt. Der damalige Sachbearbeiter Kurt Benischek war eine Koryphäe auf diesem Fahrplangebiet, der jeden angebotenen Zug in seiner Faplo unterbrachte. In der Faplo wurden alle Maßnahmen, die von den Bahnhöfen zu ergreifen waren, festgehalten: welche und wie viele zusätzliche Züge verkehren, wie viele Wagen jeder Zug hatte und wohin die einzelnen Wagen laufen (Endbahnhof), die Wagenreihung in jedem Zug mit Angabe der Wagennummer, wie die Tfz-Stellung und die Tfz-Führer und Zugbegleiterstellung erfolgen, mit welchen Zügen etwaige Kurswagen weiterrollen und noch vieles mehr. Eine Faplo hatte an die 8-12 Seiten. Der Donnerstag und Freitag waren vornehmlich in Innsbruck, Kufstein und Wörgl auch die Einarbeitungstage dieser Züge in die laufenden Fahrpläne, sowie die Bereitstellungsarbeiten für Lokomotiven und Personal. In den für eine Fahrplanperiode aufliegenden Bildfahrplänen konnten diese zusätzlichen Züge nicht eingezeichnet werden, sondern die Bahnhöfe haben für ihre Mitarbeiter (Fahrdienstleiter, Stellwerkswärter, Verschubbedienstete, Lokführer und Lokeinsatzstellen in Innsbruck, Wörgl und Saalfelden) eine „Verkehrsverfügung“ erstellt. Hier wurden die zusätzlichen Züge in ihrer zeitlichen Reihenfolger der Ankunft im jeweiligen Bahnhof aufgenommen. Die Verkehrsverfügung für den Bahnhof Wörgl, die von der Bahnhofleitung (Bahnhofvorstand und Stellvertreter) für alle Mitarbeiter erstellt wurde, enthielt an diesem Tag 11 Seiten. Eine Maßnahme zu übersehen konnte zu gravierenden Folgen führen. Penibles Arbeiten war bei der Erstellung notwendig, und vor Allem war eine außerordentliche Routine erforderlich. Bahnhofvorstand in Wörgl, Kufstein oder Innsbruck zu sein, setzte eine zumindest 25 bis 30-jährige Dienstzeit in vielen wesentlichen Verkehrsstellen voraus.
Am Samstag, dem 4. Februar 1989, gab es zusätzlich 85 Züge im Bahnhof Wörgl. In dieser Summe sind auch einige Planzüge dabei, bei denen außertourliche Arbeiten durchzuführen waren. Diese große Zuganzahl, zu den schon bestehenden mehr als 200 Planzügen an diesem Tag, ist im Jahre 2020 nicht mehr bewältigbar, da alle dafür notwendigen Ressourcen von damals heute nicht mehr vorhanden sind: damals 450 Zugbegleiter in Innsbruck, 100 Zugbegleiter in Wörgl, 25 Tfz und 140 Lokführer in der Zugförderungsstelle Wörgl. Im Jahre 2020 gab es in Wörgl an einem Samstag nur mehr 6 Sonderzüge! Damit der Fahrdienstleiter eine Zugfahrt durchführen kann, braucht es einen Fahrplan. Dazu dient der alljährlich herausgegebene Bildfahrplan als Unterlage für die Verkehrsabwicklung. In diesem Bildfahrplan (Zeit-Weg-Diagramm) sind die Verkehrszeiten (Ankunft/Abfahrt/Durchfahrt) in jedem Bahnhof mit Zuglinien, die sich mit Weglinien schneiden, eingezeichnet.
Für absehbare Züge, die unter dem Jahre eingesetzt werden könnten (Reisezüge sowie Güterzüge) gibt es sogenannte „Bedarfszugpläne“, die vom Fahrdienstleiter eines Befehlsbahnhofes nach Notwendigkeit in Verkehr gesetzt werden können. Deshalb ist der Großteil der Reisebürosonderzüge im Bildfahrplan bereits eingezeichnet. Wird von einem Reisebüro jedoch ein Fahrtrasse gewünscht, für die ein Bedarfszugplan nicht vorhanden ist, dann wird in der Faplo die Fahrzeitentrasse bekannt gegeben. Im ad-hoc-Fall kann jedoch der Fahrdienstleiter eines Befehlsbahnhofes (Saalfelden, Kufstein, Wörgl, Innsbruck) zu einem Regelzug einen „Vorzug“ (verkehrt 5-15 Minuten vor dem Regelzug) oder/und bis zu 3 „Nachzüge“ (verkehren in nicht allzu großem zeitlichen Abstand nach dem Hauptzug) in Verkehr setzen. Der Fdl hatte zu jener Zeit viele Möglichkeiten in der Hand, den Zugverkehr nach den Erfordernissen in kürzester Zeit anzupassen. Heute im Web-Verkehr ist das in dieser Zeit nicht mehr möglich. 85 zusätzliche Züge waren also zu dem schon bestehenden Regelzugverkehr zu bewältigen. Es gab ja im Zeitraum dieses großen Sonderzugverkehres noch die Regelzüge (Schnellzüge, Personenzüge und natürlich Güterzüge), die weiterhin durchgebracht werden mussten. Eines muss betont werden: ohne Verspätungen ist es nie gegangen! Für diese Züge mussten die Tfz, die Tfz-Führer und die Zugbegleiter (Zugführer und Schaffner) rechtzeitig eingeteilt werden. Das war jedes Mal eine beinahe unlösbare Aufgabe. In den Befehlsbahnhöfen mussten die Bahnsteiggleise festgelegt werden. Wörgl hatte damals 5 Bahnsteiggleise; heute im Jahre 2020 hat Wörgl 7 durchgehende Bahnsteiggleise und noch 3 Stutzgleisbahnsteige. Überdies kann jedes der 7 Bahnsteiggleise, die durch Schutzsignale in 2 Bahnsteighälften unterteilt sind, von 2 Zügen gleichzeitig benützt werden. Damals hätten wir das gebraucht!
Von den 85 Zügen verkehrte die Hälfte am Samstag in der Vormittagszeit für die Anreise von neuen Gästen und ab dem späten Nachmittag für die Rückreise der Wintergäste. Die meisten Züge verkehrten bis Innsbruck, jedoch einige Paare verkehrten auch in die Südtiroler Schigebiete bis Innichen oder Bozen, ein paar wenige auch bis St. Anton am Arlberg. In Wörgl wurden Züge nach Zell am See für die Kitzbüheler und Pinzgauer Schigebiete umgeleitet. Wenn schon nicht ein ganzer Zug nach Zell am See fuhr, dann wurden bei vielen Zügen in Wörgl sogenannte „Kurswagen“ abgestellt, die mit anderen Zügen nach Zell am See weitergeitet wurden. Diese zusätzlichen Verschubarbeiten konnten den Zugverkehr arg behindern und auch immer wieder zusätzlich verspäten. Aber das größte Handikap war, dass die Züge von der DB in Kufstein fast nie fahrplanmäßig übergeben wurden. Die vielen Züge haben auf der Langstrecke in Deutschland immer wieder oft größere Verspätungen erhalten. In solchen Fällen war jede umsichtige Vorausplanung mithilfe der Faplo unmöglich. Die Fahrdienstleiter in Kufstein, Wörgl und Innsbruck mussten in kürzester Zeit Ersatzmaßnahmen ergreifen, damit die Führung der Züge noch ermöglicht werden konnte. Um dabei helfend, und mit der Befugnis ausgestattet, eigenständige nicht vorschriftsgemäße Maßnahmen ergreifen zu können, mitzuwirken, war der Betriebskontrollor an diesen Samstagen in Wörgl im Einsatz. Jede Verspätung verursachte große Probleme bei der Bindung der Tfz- und Personal-Übergänge. Die bereits schon knappest erarbeiteten Stellungen dieser Ressourcen in der Faplo konnten nicht eingehalten werden, und die Fdl mussten jedes Mal besonders „jonglieren“; hier musste ich mithelfen.
Da ich für den Bereich Saalfelden-Innsbruck sowie Wörgl-Kufstein als Betriebskontrollor tätig war, hatte ich an diesen Samstagen in der Fahrdienstleitung Wörgl eine Zentralstelle, von der ich Anordnungen an die Bahnhöfe erteilen konnte. Kufstein, Wörgl und Innsbruck waren in diesen Zeiten die am ärgsten betroffenen Bahnhöfe des saisonalen Sonderzugverkehrs von ganz Österreich. In keinem anderen Bahnhof in Österreich wurden solche Leistungen in kürzester Zeit vollbracht. In Salzburg Hbf kamen auch einige Sonderzüge von Deutschland für das Gebiet Gastein/Schladming an; aber nicht vergleichbar mit Kufstein/Wörgl. Da es an diesen Tagen auch einige Sonderzüge von Ostösterreich (Wien) nach Tirol und Vorarlberg gegeben hatte, waren diese Züge in den frühen Morgenstunden die ersten, die schon zwischen 4 und 7 Uhr in Wörgl eingetroffen sind. Bei diesen Zügen hatten jedoch die Befehlsbahnhöfe Wörgl, Kufstein oder auch Innsbruck keine besondere Aufgaben zu erfüllen, da sie von Wien bereits mit TFz und Personal besetzt waren. Da diese Züge zumeist für Winterurlauber im Ötztal, Paznauntal und Arlberggebiet vorgesehen waren, fuhren sie bis Bludenz und wendeten dort wieder auf die Abend-Rückreisezüge. Es handelte sich meistens um 8-10 Züge, die nicht von eigenen Reisebüros gestellt wurden, sondern von den ÖBB als Verstärkung zu Planzügen angeboten wurden.
In den Endbahnhöfen (Wendebahnhöfen) der Züge mussten während des Aufenthaltes alle Garnituren gereinigt werden und mit den Erfordernissen (Wasser, Toilettenartikel usw.) versorgt werden. Eine große Anzahl von zusätzlichen Reinigungstrupps war vor Allem in Innsbruck im Einsatz. Züge, die in Zell am See endeten, wurden zur Erfüllung dieser Arbeiten nach Saalfelden überstellt, dort behandelt und abends für die Rückfahrt wieder nach Zell am See zugeführt. Es waren also neben der Durchführung der Fahrten auch andere sehr wichtige Obliegenheiten zu bewältigen. Die Züge, die in Kufstein von der DB übergeben wurden, hatten die ersten Ankunftszeiten zwischen 6 und 7 Uhr. Die Züge waren am Freitag in den Abendstunden in Brüssel, Amsterdam, Dortmund, Hamburg oder Kopenhagen gestartet und hatten eine lange Nachtfahrt auf einer zwischen 800 und 1.000 km langen Fahrstrecke hinter sich. Hier konnte auch auf der damals noch vorzeigbaren DB allerhand geschehen, das zu Verspätungen führen konnte. Zwischen 6 und 11 Uhr am Vormittag sind oft mehr als 30 solcher Reisebürosonderzüge in Kufstein eingetroffen. Jeder Zug hatte in Kufstein, auf damals 3 Bahnsteiggleisen, 30-40 Minuten Aufenthalt. Neben der Zoll-und Passkontrolle von deutschen und österreichischen Beamten fand auch der Lok- und Personalwechsel statt. Das deutsche Personal nächtigte (während der Tageszeit) in Kufstein in den vielen Dienstzimmern. Aus diesem Grunde wurde im Jahre 1984 der neue Bahnhof Kufstein derart groß mit mehr als 30 Nächtigungszimmern errichtet. Seit dem EU-Beitritt ist diese Notwendigkeit schon längst obsolet geworden und im Jahre 2018 wurden diese Baulichkeiten wieder abgerissen. Da bei diesen Reisebürosonderzügen in Kufstein meistens keine Reisenden ausgestiegen sind, konnte man mit diesen Zügen auch auf die Güterzuggleise einfahren (haben keinen Bahnsteig). Nur so konnte die Vielzahl der Züge in Kufstein durchgebracht werden.
In Wörgl sind schon die ersten Reisenden ausgestiegen, deshalb war ein Einfahren auf ein Güterzuggleis hier unmöglich. Mit nur 5 Bahnsteiggleisen, es gab ja genügend andere Regelzüge auch noch, war eine planmäßige Verkehrsabwicklung schon wesentlich schwieriger und in kürzester Zeit wurde ein Bahnsteigwechsel angeordnet, weil bei jedem zweiten Zug Kurswagen nach Zell am See abgestellt wurden, mit denen neue Züge dorthin gebildet wurden. Warum wurden nicht schon von den Ausgangsbahnhöfen eigene Züge nach Zell am See gebildet? Das war meist schwierig und unmöglich, weil eben in Brüssel, Amsterdam, Den Haag usw. nicht genügend Reisende (Wagen) für diese Destination vorhanden waren. Ein kurzer Zug wäre wenig wirtschaftlich gewesen. Aus diesem Grunde traf es Wörgl, diese Umstellarbeiten durchzuführen. Und das Gleiche ergab sich abends bei der Rückfahrt: Ein Zug von Zell am See hatte Kurswagen nach Brüssel, Berlin oder Kopenhagen. In Wörgl wurde der Zug zerlegt und die Wagen den entsprechenden Richtungszügen beigegeben. Deshalb hatte man am Vormittag zwischen 30 und 35 Zügen entsprechend zu behandeln, und am Abend die gleiche Anzahl mit den analog umgekehrten Aufgaben. Die Züge hatten im Inntal nur Aufenthalt in Wörgl, Jenbach (für Ziller- und Achental) und Innsbruck. Feriengäste für die Wildschönau und das Alpbachtal stiegen in Wörgl aus und wurden von den Hotels mit Bussen oder PKW abgeholt. Oft einige hundert Fahrgäste mit Koffer und Schier tummelten sich auf einem Bahnsteig in Wörgl. Es gab noch keinen Bahnsteiglift, und Unterführung und Abgänge waren schmal. Den abholenden Hotelbesitzern mussten wir gestatten, dass sie mit Handwagen oder auch Pkw die Fahrgäste und das Gepäck am Bahnsteig abholen konnten. Dazu gab es Übergänge zu jedem Bahnsteig, deren Benützung wegen der vielen fahrenden Züge oft gefährlich werden konnte. Der Außen-Fdl musste dafür sorgen, dass dieses Überschreiten (Überfahren) der Gleise anstandslos erfolgen konnte. Im Brixental (Bezirk Kitzbühel) hatten die Sonderzüge einen Halt in allen Bahnhöfen bis Saalfelden und Zell am See. Für diese Destinationen brauchten deshalb die Fahrgäste nicht schon in Wörgl auszusteigen. Nur Gäste nach Söll, Ellmau (Wilder Kaiser-Gebiet) mussten die Züge auch in Wörgl verlassen; sie wurden mit Bussen abgeholt. In Kufstein und Wörgl waren in der Regel 2 Fahrdienstleiter im Einsatz. An diesen Samstagen gab es von 6 bis 24 Uhr eine Verstärkung von einem weiteren Fahrdienstleiter, der beim Außendienst im Einsatz war.
Der Fahrdienstleiter musste damals die Züge noch „abfertigen“. Dazu gehörte die Überprüfung der Bremsfähigkeit aller Wagen, der Abfahrbereitschaft der Zugbegleiter nachdem alle Reisenden ein-oder ausgestiegen waren und die Türen verschlossen waren, und zuletzt die Erteilung des Abfahrauftrages an den Lokführer. Die Abfahrtskelle (bei Nacht ein grünes Licht) wurde zum Lokführer hin hochgehalten und geringfügig geschwenkt. Alles ließ sich irgendwie lösen, nur eine Verkehrsunterbrechung durch irgendeinen Unfall durfte es nicht geben. Dann wurde alles komplett durcheinander gewirbelt. Bei auftretenden Oberbauschäden oder übergroßen Schneemengen musste der Hilfszug (Schneepflug) sofort eingesetzt werden. Bei starken Schneefällen waren eigene Schneepflugfahrten über Hochfilzen notwendig. Die Schneepflugführer des Baudienstes wie Hans Gogl, Sepp Bergmann, Karl Krcma oder Hubert Danzl waren auf diesem Gebiet sehr versiert und ermöglichten immer die unbedingt notwendige Freihaltung der wichtigsten Gleise. Die Züge waren größtenteils sehr lange Züge: 15-16 Wagen waren die Regel. Zum Brenner hinauf brauchte man ein weiteres Tfz, eine Vorspannlok. Auch über Hochfilzen musste bei einer Zuglänge von mehr als 12-13 Wagen ein zusätzliches Tfz gestellt werden. Diese Vorspann-Tfz auch noch zu stellen, war oft ein beinahe unmögliches Unterfangen. Öfters musste das Verschub-Tfz des Bf Wörgl als zusätzliches Tfz gestellt werden. Dass dieses Tfz nur eine Höchstgeschwindigkeit von 40 Km/h hatte, beeinflusste wieder die Einhaltung des Fahrplanes; es gab zusätzliche Verspätungen, aber das war meist schon egal, die Urlaubsgäste waren froh, dass sie endlich in den Bergen angekommen waren. Es gab noch eine Vielzahl von verschiedenen Tfz-Typen wie 1010, 1020, 1o42, 1245, oder 1670. Jedes Tfz hatte eine andere Höchstgeschwindigkeit (mehr als 120 Km/h lief kein Tfz) und auch eine andere Höchstbelastung. Das war über die Bergstrecke von Hochfilzen sehr genau zu beachten. Vorspann-Tfz bis Hochfilzen wurden immer wieder benötigt, oft auch außertourlich, weil die Wagenanzahl des Zuges nicht immer mit der Faplo übereinstimmte. Nicht nur einmal musste von einem planmäßigen Güterzug das Tfz für einen Sonderzug abgekuppelt werden; damit hatte der Güterzugsachbearbeiter Heinrich Weisz keine helle Freude. Im Jahre 2020 gibt es das Tfz 1116 in beinahe einziger Ausführung mit 220 Km/h Höchstgeschwindigkeit und einer enormen Zugkraft.
Die Lautsprecheransagen wurden damals, zum Glück, noch von einem eigenen Bediensteten gemacht, der die jeweilige momentane Situation bekanntgeben konnte. Eine automatische, vorher programmierte Ansage durch „Frau Lohner“ hätte das Chaos bedeutet. Sehr wichtig war bei der Rückfahrt am Abend die Bekanntgabe der Wagenreihung. Jeder Wagen hatte eine besondere 3-stellige Wagennummer, die für die Fahrgäste sehr wichtig war, denn die Reisenden verfügten mit ihren Fahrkarten über reservierte Plätze in den einzelnen Wagen. Eine falsche Wagenreihung auszurufen, hätte für oft hunderte einsteigende Reisende ein Chaos und eine erhebliche Verspätung für den Zug bedeutet. Die Arbeiten am Abend für die Rückfahrt der Züge liefen wesentlich geregelter ab, da die Züge von Innsbruck und auch von Zell am See her ziemlich planmäßig angekommen sind. Unsere Züge wurden in Kufstein an die DB meistens auch planmäßig übergeben. Obwohl auch in Kufstein die gleichen Arbeiten wie am Vormittag bei der Herfahrt jetzt bei der Rückfahrt durchgeführt werden mussten, brauchte man nicht mit den oft gewaltigen Verspätungen disponieren.. In Kufstein musste man sich darüber hinaus noch um die deutschen Tfz, Tfz-Führer und Zugbegleiter kümmern, denn ein Durchfahren eines fremden Personals war völkerrechtlich noch nicht gestattet und unmöglich. Obwohl es einige Male immer wieder vorkam (das Einvernehmen mit der DB war ja damals hervorragend), dass ein deutscher Lokführer überredet wurde, einen Zug mit der deutschen Lok von Kufstein bis Wörgl (16 Km), in Beisein eines österreichischen Lotsen, zu führen. Die Signale zwischen DB und ÖBB waren ja nicht so gravierend verschieden. Auch solche Abnormitäten (Vorschriftswidrigkeiten) wurden angeordnet; wissen durfte man das an höherer Stelle nicht, obwohl jeder froh war, dass alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden. Froh war man auch in Wien in der höchsten Überwachungsstelle der ÖBB, der Zentralen Verkehrsüberwachung (ZVÜ). Eine ansonsten penibel lästige Stelle, die jede Verspätung akribisch verfolgte, ließ uns an diesen Tagen die „heilige Ruhe“; auch in Wien war man froh, dass der Verkehr überhaupt lief!
Meistens um Mitternacht konnte man sagen, der Tag wurde wieder einmal bewältigt. Wenn es dazu keinen besonderen Unfall (Entgleisung, Menschenverletzen usw.) gab, war man sehr froh, beinahe Unmenschliches wieder geleistet zu haben. Es war eben damals die ÖBB „unsere Eisenbahn“, auf die wir alle sehr stolz waren und das waren nur im Bahnhof Wörgl an die 200 Mitarbeiter.
Dieser Bericht soll auch ein Dank an die damals hart arbeitenden Kollegen sein. Einige werden sich an diese „Horror-Tage“ noch gut erinnern.
Aufgeschrieben im Jahre 2020 von Johann Kobler, damals Betriebskontrollor in Wörgl.