Der Schneider als Politiker – KR Martin Pichler
Am 15. Juni 1953, also vor 70 Jahren, verstarb mit Martin Pichler der Vater der Stadterhebung. Sein Name ist untrennbar mit der Entwicklung der Gemeinde Wörgl verbunden und sein Engagement als Bürgermeister trug in den schweren Nachkriegsjahren wesentlich zum wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg seines Heimatortes bei.
Geboren am 4.November 1882 in Hall in Tirol kam der gelernte Schneidermeister im Jahr der Markterhebung – 1911 – nach Wörgl, wo er eine Werkstätte eröffnete und daneben als Pfarrmesner und Schuldiener arbeitete.
1919, im schlimmsten Notjahr nach dem Zusammenbruch der Monarchie, kam er in den Gemeinderat. Hier entwickelte er einige Ansätze seines später allseits anerkannten Weitblicks; er trat mit Georg Opperer und Hans Stricker für den Bau der Bürgerschule ein und plante mit dem „Krippenvater“ Johann Seisl den 1925 eingeweihten und einzigartigen Waldfriedhof. Bereits 1929 kam er in den Tiroler Landtag, dem er bis 1938 sowie von 1945 bis 1953 angehörte.
Der Februaraufstand 1934, der Wörgl und seine Umlandgemeinden an den Rand eines verheerenden Bürgerkrieges brachte, konnte dank einsichtiger Männer auf beiden Seiten knapp abgewendet werden. Er beendete aber die Amtszeit des umsichtigen und um das Wohl aller Bürger bemühten Bürgermeisters Michael Unterguggenberger sowie das Wirken der verschiedenen Parteien.
Von der Landesregierung wurde Martin Pichler zum Regierungskommissär der Marktgemeinde Wörgl berufen und 1935 zum Bürgermeister gewählt. Die Linderung der herrschenden Not durch Schaffung von Arbeitsplätzen war das oberste Gebot. Der Bau der Innerkofler-Kaserne sowie die Inbetriebnahme der 1929 stillgelegten Zellulosefabrik waren erste Erfolge. Mit dem erzwungenen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 zog er sich in seine Schneiderwerkstätte zurück.
Mit Kriegsschluss, am 8. Mai 1945, hatte die NS-Schreckensherrschaft ein Ende gefunden. Die „Widerstandsbewegung“ unter Führung von Rupert Hagleitner (Bürgermeister von 1962 bis 1974) berief wieder den Abgeordneten Martin Pichler auf den Bürgermeisterposten von Wörgl. Die freien Wahlen vom 7. Jänner 1947 brachten für die Volkspartei und die Sozialdemokraten jeweils 8 Mandate. Durch Losentscheid wurde Martin Pichler (ÖVP) wieder Bürgermeister, Vizebürgermeister und eine große Stütze in den schwierigen Nachkriegsjahren wurde Nationalrat Johann Astl (SPÖ).
Der neu gebildete Gemeinderat stand vor schweren Aufgaben. Als Knotenpunkt war Wörgl in erster Linie Durchzugsgebiet der aufgelösten Armeen. Die Lager waren überfüllt mit Fremdarbeitern, Flüchtlingen und Gefangenen. Man zählte ungefähr 12.000 Personen (normal 5.000), die alle verpflegt werden mussten. Der Abtransport ging langsam vor sich. Es sah trostlos aus! Kein Zug-, Post- und Telefonverkehr! Lebensmittelknappheit machte sich sehr bemerkbar.
Schwere Bombenschäden
Gsthaus Schachtner 1945
Für viele, die für die Zukunft keinen Lichtblick sehen konnten, war die Nachricht, dass Pichler die Geschicke der Gemeinde in die Hand genommen hat, ein guter Grund zum Optimismus. Das zeigte sich, als er zum gemeinsamen Schuttwegräumen aufrief: Die Wörgler Bevölkerung kam in großer Zahl, auch jene von anderen politischen Gruppen, zu denen Pichler mit echter Toleranz eine tragfähige Brücke der Zusammenarbeit herstellte.
Das Ansehen des Marktes Wörgl, der sich eines beachtenswerten Aufstieges erfreute, wurde durch die Persönlichkeit Pichlers zweifellos gehoben.
Als der Wörgler Bürgermeister am 16. Februar 1951 in seiner Eigenschaft als 1. Landtags-Vizepräsident den Antrag einbrachte – und selbst begründete -, den Markt Wörgl zur Stadt zu erheben, erfolgte ohne Bedenken die einstimmige Annahme.
Feier zur Stadterhebung von 17.-19. August 1951:
Die Wörgler Schüler Anni Eder und Peter Brandl begrüßen
Bundespräsident Dr. Theodor Körner mit einem Gedicht
Vier Monate vor seinem Ableben, am 27. Februar 1953, beschloss der Gemeinderat unter Vorsitz von Vizebürgermeister Nationalrat Johann Astl, dem verdienten Bürgermeister die Ehrenbürgerschaft zu verleihen.
Quellen: Wörgler Rundschau, Wörgler Heimatschriften von Hans Federer; Stadtarchiv